Fast jeder kennt sie, die Ringelblume oder Goldblume, manchmal auch Sonnenwendblume genannt: Calendula officinalis L. Mit den gelben und orangen Tönen ihrer einfachen oder gefüllten Blüten schmückt diese Komposite manche triste Gartenecke noch im Herbst, wenn andere Blumen schon verblüht sind. Wegen ihrer Anspruchslosigkeit und des Umstandes, dass ihre Blüten, verglichen mit anderen größeren und spektakuläreren Sommer- und Herbstblumen sie heute manchem Gartenbesitzer als Allerweltspflanze, ja beinahe als Unkraut erscheinen lassen, traut man der Ringelblume wohl kaum eine abenteuerliche Rolle in der europäischen Medizin-, Pharmazie- und Biologiegeschichte zu. Dabei diente sie einst nicht nur als Haarschmuck schöner Frauen, sie war auch in eine höchst reale Verwechslungskomödie verwickelt, wie sie sich kaum einer der einschlägigen Autoren des 18. und 19. Jahrhunderts in dieser sehr populären literarischen Gattung hätte einfallen lassen können.

Zu beachten ist, dass es in Europa drei Calendula-Arten gibt: Die Garten-Ringelblume (Calendula officinalis L.), deren Heimat vermutlich die Länder des Mittelmeergebiets umfasst, die vor allem angebaut wird und nur sehr selten verwildert vorkommt. Die Acker-Ringelblume (Calendula arvensis L.) ist ebenfalls im Mittelmeergebiet, in Persien und - selten - in den wärmeren Regionen Mitteleuropas sowie auf den Kanaren zu Hause. Schließlich findet man in Südeuropa, Kleinasien, Nordwestafrika und auf den Kanaren die im Grunde verholzte Art Calendula suffructiosa VAHL[i]1.


Geschichte

Ob Calendula bereits im Arzneipflanzenschatz der Antike enthalten war, konnte bis heute nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden. Das bei Theophrast und Dioskurides aufgeführte „Klymenon" oder die „Caltha" bei Plinius (wie auch bei Columella und Vergil) ist nicht eindeutig mit Calendula officinalis zu identifizieren; vermutlich muss man eher mit Calendula arvensis L. rechnen. Bei den griechischen und lateinischen Namen (h)eliotropium, solsequium (der Sonne folgend) und sponsa solis - letztere Bezeichnung kommt nur selten für Calendula in Frage - gibt es Überschneidungen mit Cichorium intybus L. (Wegwarte) und Taraxacum officinale WIGGERS (Löwenzahn).

Plinius Secundus d. Ä. (23-79 n.Chr.) führt in seiner ‚Naturalis historia‘ (Buch 21, § 28) folgendes über die Pflanze „caltha" aus (nach der lateinisch-deutschen Ausgabe von Roderich König und Gerhard Winkler):

Proxima ei caltha est et oculari amplitudine. Vincit numero foliorum marinam quinque non excedenten, eadem odore superatur. Est enim gravis calthae, non levior ei quamquam folia eius olent, non flores.

Die Ringelblume [caltha] steht dem am nächsten, groß wie ein Auge. An Zahl der Blätter übertrifft sie das „Meerveilchen", das nie mehr als fünf hat, wird aber von diesem im Geruch übertroffen. Die Ringelblume hat nämlich einen strengen , der etwas milder ist als der des sogenannten „Königsreises" [scopa regia], obgleich nur dessen Blätter, nicht die Blüten riechen.

Plinius meint damit wohl Calendula arvensis, wie wahrscheinlich auch Dioskurides, der in seiner etwa zeitgleich entstandenen ‚Materia medica‘ (Buch IV, 13 nach Berendes) „Klymenon" als eine Pflanze beschreibt mit „vierkantigen, dem der Bohne ähnlichen Stengel; die Blätter ähneln denen des Wegerichs. Am Stängel hat es einander zunickende Troddeln (dysánia), welche einem Kreisbogen gleichen und den Fangfüßen des Polypen."2

Im Mittelalter wird die Ringelblume erstmals bei Hildegard von Bingen [‚Physica‘ 1-1223] behandelt. Dies kann als ein Indiz dafür gewertet werden, dass Calendula, bzw. „Ringele" wie sie bei der Äbtissin vom Rupertsberg genannt wird, bereits im 12. Jh. Bestandteil der Volksmedizin gewesen ist. Wenn Irmgard Müller in ihrem bekannten Buch zu den pflanzlichen Heilmitteln bei Hildegard von Bingen von einer vielfältigen Verwendung der Ringelblume in der ‚Physica‘ spricht, weil die große Klosterfrau „eine besondere Affinität zum schöpferischen Prinzip Gottes, dem Licht offenbarte, das sie in sich aufsog, einschloss und umwandelte"4, so trifft das genau genommen gar nicht zu, denn Hildegard hebt die Pflanze weder besonders hervor, noch weist sie der Calendula ein breites Spektrum an Indikationen zu: die als kalt und feucht bezeichnete Blume soll innerlich gegen „Vergiftungen" durch üble Speisen bei Mensch und Tier (Rind und Schaf) hilfreich sein. Gegen „vellen" und Grind am Kopf empfiehlt sie die äußere Anwendung mit Speck, bei Grind mit Teig vermischt.

Ebenfalls nicht ganz korrekt ist die Angabe Irmgard Müllers, dass Calendula erst wieder bei Albertus Magnus (‚de vegetabilibus‘ VI,451) „mit ziemlicher Gewissheit" zu finden sei. Zwar kommt in den Werken der Medizinschule von Salerno des 11. und 12. Jahrhunderts unsere Pflanze zunächst tatsächlich nicht vor; weder Constantin von Afrika in seinem ‚Liber graduum‘ (vor 1080) noch das ‚Circa instans‘ in der Ur-Fassung (erste Hälfte des 12. Jh.s) haben diese Pflanze aufgenommen5. Doch bereits in einer gegen 1200 entstandenen erweiterten ‚Circa instans‘-Fassung, greifbar in der aus Frankreich oder Italien stammenden Handschrift der Breslauer Stadtbibliothek Nr. 1302 (seit 1945 verschollen), findet sich ein Kapitel zur „Kalendula", wenn auch hier als Nachtrag nach ‚Sponsa solis‘ (Cichorium intybus L.)6. Die Ringelblume wurde dann in der Folgezeit zum festen Bestandteil der ‚Circa-instans‘-Überlieferung, wie die unten angeführten Beispiele nachweisen. Der Text aus der Breslauer Handschrift 1302 zeigt allerdings große Unterschiede zu den späteren Versionen: Als Namen werden „Kalendula", „Eleutropium" und „Solsequium" genannt, wobei „Solsequium" dasselbe wie „Eleutropium" bedeutet. Unter den Indikationen finden sich „Scotomia" (Schwindel, Ohnmacht), Kopfschmerz, Blutfluss, Menstruationsbeschwerden und eine Räucherung (Subfumigatio) gegen nässende Haemorrhoiden.

Die späteren ‚Circa instans‘-Fassungen, wie etwa die in Frankreich und Italien weit verbreiteten ‚Secreta salernitana‘, erweiterten den ursprünglichen Bestand an Drogen, fügten oft Abbildungen der Pflanzen hinzu, strichen den Text zu den einzelnen Pflanzen jedoch meist radikal zusammen. Sehr anschaulich vermittelte dies das aus dem ostmitteldeutschen Raum (vielleicht Thüringen) der ersten Hälfte des 15. Jh.s. stammende ‚Basler Circa instans‘ (Basel, Universitätsbibliothek, Ms. K. II. 11.), dessen Abbildungen die stark schematisierte Pflanzendarstellung des Mittelalters zeigt und das nur wenige Zeilen Text zur Pflanze bietet7.

Die Namen im Basler ‚Circa instans‘ zur Ringelblume sind „ hintlope" (= solsequium), „aerola" und „ringil" (wie bei Hildegard). Text: „Calendula herba est quae alio nomine dicitur [florum] flos omni mense. Alii [florum] raucii. Nascitur locis humorosis et eam mulieres ponunt in (h)ortis propter faciendum cornua (od: corona), quia habent pulcros colores." [Blome7, S. 87].

Übersetzt: Calendula ist ein Kraut, das mit anderem Namen ‚die Blume jeden Monats‘ heißt. Andere (nennen sie) ‚Rauhblatt‘. Sie wächst an feuchten Orten, und die Frauen setzen sie in die Gärten, um Kronen (oder Hörner) daraus zu machen, weil sie schöne Farben haben. - Bemerkenswert ist hier die Tatsache, dass die medizinischen Anwendungen der Kürzung komplett zum Opfer fielen!

Übrigens finden sich schon bei Hildegard von Bingen Pflanzenkapitel ohne jede Indikation, wobei die „Negativ-Monographien", die wir in den ‚Physica‘ mehrmals finden können, z. B. bei „Harthawe", hier noch gar nicht berücksichtigt sind.

Die Ringelblume ging also anscheinend über das ‚Circa instans‘ in den allgemeinen Arzneischatz des Mittelalters ein. Hildegard kann man nicht dafür verantwortlich machen, denn ihr Werk erlangte im Mittelalter, verglichen mit dem ‚Circa instans‘ und dem ‚Macer floridus‘, dem wichtigsten Buch der Klostermedizin, nur geringe Bedeutung. An der Wende vom Medium aevum zur Neuzeit, interessierte man sich zwar kurzzeitig für die ‚Physica‘, was zu einer Teilübersetzung ins Frühneuhochdeutsche und zu einer einmaligen Drucklegung (Straßburg 1533) führte. Der ganz große Erfolg sollte sich für die Äbtissin jedoch erst im Verlauf des 20. Jh.s. einstellen.

Der große Gelehrte des Mittelalters, Albertus Magnus (um 1200-1280), dessen naturwissenschaftliche Werke sehr große Verbreitung erlangten, obwohl seine eigentlichen Verdienste auf anderen Gebieten lagen (die äußerst positive Einschätzung der Wissenschaftsgeschichte, wie z.B. bei Mägdefrau oder Jahn et al., hält einer genauen Überprüfung nicht stand), hat sein Kapitel zur Calendula (‚De vegetabilibus‘, VI,451) wahrscheinlich dem ‚Circa instans‘ entnommen, wie auch die meisten Naturbeobachtungen des großen Dominikaners weniger aus eigener Anschauung, sondern vor allem aus einer guten Kenntnis der vorhandenen Literatur herrühren. Allerdings ist bei der Ringelblume auch der umgekehrte Fall, nämlich dass die jüngere ‚Circa instans‘-Überlieferung das Calendula-Kapitel von Albert übernommen hat, nicht ganz auszuschließen.

Albert berichtet über die Calendula: „Sponsa solis sive solsequium est herba habens folia spissa, sed non magna, florem citrinum, qui claudit se sole occidente et aperit oriente. Frigida et humida est. Trita confert morsui venenatorum, posita super vulnus. Sed succus eius confert oppilationibus splenis et hepatis.

Zu deutsch: „Sonnenbraut (in älteren Texten: Sonnenfriedel) oder ‚der-Sonne-folgend‘, ist ein Kraut, das dicke, aber nicht große Blätter hat und eine zitronengelbe Blüte, die sich bei Sonnenuntergang schließt und beim Aufgang öffnet. Sie ist kalt und feucht. Zerrieben hilft sie beim Biss giftiger Tiere, wenn man sie auf die Wunde legt. Ihr Saft hilft bei Verstopfungen der Milz und der Leber."8

Eine riesige Drogenkunde aus der ersten Hälfte des 15. Jh. überliefert sowohl die Handschrift Ms. 604 der Universitätsbibliothek München als auch der sog. ‚Fonseca-Codex‘ [Cod. Casanatensis lat. Nr. 459]9. Ein Werk, das in der deutschen Wissenschaftsgeschichte auch als ‚Lexicon plantarum‘ läuft. Es baut wiederum auf dem ‚Circa instans‘ bzw. den ‚Secreta salernitana‘ auf, erweitert durch Auszüge aus dem ‚Aggregator‘, der fälschlicherweise dem Syrischen Arzt Johannes Serapion zugeschrieben wurde, sowie Auszügen aus dem ‚Canon medicinae‘ des Avicenna. Seinen krönenden Abschluß findet diese Gruppe erst im ‚Codex

Guarini Brixiensis‘10 aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In diesem Codex präsentiert der Chirurg und Drogenhändler Domenico Guarini nahezu 700 Simplicia - in der Regel mit Abbildung. Dass im ‚Lexicon plantarum‘ sowie im ‚Codex Guarini‘ (91verso, Bild Nr. 160) die Calendula nicht fehlt, erscheint nun schon nahezu selbstverständlich:

„Calendula herba est. Mulieres ex eius floribus faciunt coronam et dicitur flos omne menses vel rauciti. Herba ipsa commesta in crispellis aut sucus eius potui datus statim menstrua provocat, unde nomen accepit, pregnantibus abortum facit. Dicitur quod si quis ex suco eius et abrotano inunxerit se totum, in secundo (lies: in sero) cum vadit dormitum in lecto et dormiet, in crastina inveniet se translatum in alia parte domus. Item sucus eius naribus iniectus contrariam dolorem dentium tollit. Mulieres ponunt in ortis, quia pulcros flores citrinos habet et de eisdem coronam faciunt. Et dicitur calendula quia omni mense floret." [Maus9 S. 53]

Hier wird der kompilatorische Charakter deutlich: die Blumenkränze der Frauen werden zweimal erwähnt, wie auch die Etymologie von Calendula: die Blume jeden Monats („flos omne menses") bzw. „calendula quia omni mense floret", Calendula, die jeden Monat blüht, der Name spielt eigentlich auf die ‚Kalenden‘ an, also auf den Monatsbeginn. Die Bezeichnung „rauciti" geht auf ‚raucidus‘, ‚raucus‘ zurück, was so viel wie ‚heiser‘ oder ‚rauh‘ heißt, wobei die Benennungsmotivation wohl durch die haarigen Blätter gegeben ist. Calendula soll die Menstruation befördern und bei Schwangeren den Abort, zusammen mit Abrotanum den Schlaf verlängern und den Zahnschmerz legen.

Um die Mitte des 15. Jh.s. wurde die erste deutschsprachige große Drogenkunde erstellt, und zwar in sächsischer Schreibsprache. Hauptquelle ist wiederum eine erweiterte Fassung des ‚Circa instans‘, in die partiell der ‚Liber graduum‘ des Konstantin von Afrika und ein weiteres Werk aus Salerno, der ‚Liber iste‘, eingearbeitet waren. Hier wurden noch große Auszüge aus der deutschen Fassung des ‚Macer floridus‘, dem sog. ‚Älteren deutschen Macer‘ eingefügt, und wie schon im ‚Lexicon plantarum‘ und dem ‚Codex Guarini‘ auch der Pseudoserapionische ‚Aggregator‘ herangezogen. In diesem Werk findet sich nun erstmals die Ringelblume in deutscher Sprache. Inhaltlich gibt es enge Bezüge zum Text des Albertus Magnus.

Buchstabe S, Kapitel N [S13] fol. 177rb-177va: Sponsa solis, sunnen vredel oder ringele, ellitropia, intubacicorea, dyonisia, solsequium ist das selbe; ist kalt und feucht in dem 2. Grad. Grün hat es die größte Kraft, trocken hat es geringe oder „decheine" (keine) Kraft. Und es besitzt die Wirkung das es widersteht der Vergiftung; und deshalb berühren die Wiesel und manche anderen Tiere, wenn sie verletzt werden von giftigen Tieren, die Wunden mit dem Kraut und werden auf diese Weise gesund. Gegen den Biß der giftigen Tiere lege das Kraut zerrieben auf die Wunde und trinke dazu den Saft. Das Kraut gekocht und gegessen oder der Saft getrunken ist gut gegen die Verstopfung der Milz und der Leber aus heißer Ursache, und zerreibe das Kraut und gib es zu essen. (Text dem Neuhochdeutschen angenähert).

In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts finden wir innerhalb der ‚Circa instans‘-Überlieferung die erste bereits sehr gelungene naturalistische Darstellung der Ringelblume. Sie stammt aus einem illustrierten Codex der Königlichen Bibliothek von Brüssel (Albertina, Signatur: Ms. IV 1024, fol. 65r) und gehört zur Tradition der ‚Secreta salernitana‘, wobei hier der Text ins Französische übertragen wurde11. Die Qualität der Abbildung steht der einer weiteren Handschrift der französischsprachigen Überlieferung der ‚Secreta salernitana‘ - in Frankreich auch ‚Le Livre des simples médecines‘ genannt - kaum nach, obwohl der Codex ms. francais 12322 der Nationalbibliothek zu Paris bereits in das 16. Jh., und zwar in das erste Viertel zu datieren ist.12


Renaissance und frühe Neuzeit

Wie bei so mancher Arzneipflanze kommt es auch in der Geschichte der Calendula an der Wende vom Mittelalter zur frühen Neuzeit, am Umschlag von der handschriftlichen zur gedruckten Überlieferung, zur Katastrophe. Wie wir das kürzlich schon an Arnica montana aufzeigen konnten13, scheint es vorwiegend bei den Pflanzen, die in der antiken Medizin keine oder nur sehr geringe Bedeutung hatten, im Zeitalter der Renaissance zu erheblichen Fehldeutungen und Konfusionen gekommen zu sein. Im Bestreben, das Wissen der Antike, und das heißt hier in aller erster Linie die ‚Materia medica‘ des Dioskurides neu aufzuarbeiten und zu interpretieren (das Werk spielte im Mittelalter bei weitem nicht die Rolle, die ihm oft zugeschrieben wird), versucht man auch die Drogen aus den mittelalterlichen Werken mit denen der Antike in Einklang zu bringen. D. h. man sucht bei Dioskurides auch nach Heilpflanzen wie Arnica, Angelica archangelica oder auch Calendula, wobei man angesichts der riesigen Fülle an Synonymen, die sich schon in der ‚Materia medica‘ und mehr noch im Verlauf des Medium aevum angesammelt hatten, gewiß auf einen passenden Namen stößt. Auch in den Fällen, in welchen die meist recht guten Pflanzenbeschreibung bei Dioskurides mit denen der mittelalterlichen Literatur gar nicht übereinstimmen wollen, lassen sich nur wenige Autoren von den Widersprüchen beeindrucken; einer der kritischeren Geister ist hier neben Leonhart Fuchs übrigens der Flame Rembert Dodoens (1517-1585), der allerdings das lateinische Werk des Vaters der Botanik gut kennt.

Im Fall der Calendula muss das noch vor 1500 einsetzende Verwirrspiel jedoch andere Ursachen haben. Während Hildegard und die auf dem ‚Circa instans‘ fußenden Kräuterbücher die für die Humoralpathologie so wichtigen Primärqualitäten der Ringelblume als kalt und feucht im zweiten Grad bestimmen, heißt es in den ersten gedruckten Werken plötzlich, sie sei heiß und trocken, und zwar wiederum im zweiten Grad. Dass es sich hier nicht um eine einfache Verwechslung der Qualitäten durch einen Schreiber oder Setzer handelt, zeigen dann die mitgeteilten Rezepte, denn erstaunlicherweise ist mehrfach zu lesen, dass ausgerechnet die Rinde (!) der Calendula für die Herstellung der Arzneimittel herangezogen werden soll. So Hieronymus Bock (Kap. 46, in der Auflage Straßburg 1577): „Das Puluer von der Rinden gemischet mit Fenchelsamensafft, Wein vnd ein wenig Öl, diß alles gesotten Biss es dick würt; demnach thu darzu einwenig wachß, machs zur Salben vnd bestreich das Miltz damit, desgleichen den kalten Magen, es hilfft." Bei Adam Lonitzer überwiegen sogar die Rezepte mit Rinde. Es muß aber betont werden, dass die mitgegebenen Abbildungen, Namen und Pflanzenbeschreibungen keinen Zweifel daran lassen, dass unsere Ringelblume gemeint ist.

Der voraussichtliche Übeltäter ist gefasst, es handelt sich nicht um einen Dioskurides-Interpreten, wie Matthioli, sondern um Johann Wonnecke von Kaub (um 1430-1503/4). Der rheinländische Arzt war bekanntlich von dem Mainzer Verleger Peter Schöffer beauftragt worden, den Text für dessen ersten großen Druck zur Drogenkunde anzufertigen; das sehr erfolgreiche Werk erschein dann auch 1485 in Mainz mit dem Titel ‚Gart der Gesundheit‘14. Die Analyse des von Wonnecke gelieferten Textes zeigt, dass auch die heutzutage umlaufenden Berichte zur Entstehung des ‚Gart der Gesundheit‘ unrichtig sind.

So wird man in der sicherlich äußerst lesenswerten ‚Geschichte der Pharmazie (Bd. I: Von den Anfängen bis zum Ausgang des Mittelalters)‘ des leider viel zu früh verstorbenen Pharmaziehistorikers Rudolf Schmitz zu Wonnecke belehrt: „Als herausragendem Antihumanisten und gutem Kenner der altdeutschen Medizinliteratur gelang es Wonnecke, seinen Auftraggeber irrezuführen, indem er unter Vertuschung der tatsächlich benutzten Literatur, sich den empfohlenen lateinischen Textvorlagen verschließend, vorwiegend deutsche Quellen des 12. bis 14. Jhs. wie den ‘Bartholomäus’, den ‘Älteren deutschen Macer’, Konrad von Megenberg und andere kompilativ verarbeitete, in die Form des ‘Circa instans’ goss und den landessprachlichen Fachprosatexten zum wirkungsvollen Durchbruch verhalf."15 Diese verbreitete Einschätzung ist eigentlich gar nicht möglich und erinnert an die Fehlgriffe unserer Renaissance-Autoren. Dabei muss ein auch nur ganz grober Vergleich des ‘Gart’ mit den genannten deutschsprachigen Werken des Mittelalters sofort vor Augen führen, dass diese den ‚Gart der Gesundheit‘, sowohl was die Anzahl der Drogen als auch was den inhaltlichen Umfang der einzelnen Monographien betrifft, nur zu einem Bruchteil abdecken können.16


Was ist nun bei Wonnecke, bzw. im ‚Gart der Gesundheit‘ im 98. Kapitel zu lesen?

Unter der Überschrift Caput monachi - ryngelblume („Caput monachi" findet sich tatsächlich auch für die Ringelblume) steht der überraschende Satz: „Caput monachi siue capparus latine, grece kynolbaton [Wonnecke meint kynosbaton, (Dioskurides II, 204, nach Berendes) capparis bzw. kynosbatos = Rosa sempervirens (Dioskurides I, 123)], arabice hapar." Und weiter heißt es: „Jn dem buch genant circa instans in dem capitel Capparus stat geschrieben, daz diß sy heyß vnd drucken an dem andern grade." Capparus, was natürlich den Kapern-Strauch meint, wird tatsächlich im ‚Circa instans‘ als heiß und trocken beschrieben: „Capparis vel capparus [est] calidus et siccus in secundo gradu" [Wölfel (6), S. 29]. „Die rynden wurtzel bletter vnd blomen dienen alle in der artzney. Die rynden sal man sameln an den angeenden deß meyes vnd sal die vff hencken vnd die laissen dorren. Die rinden synt funff iare gut. Die blomen sollen gesamelt werden so sie noch in den knoppffen synt. Wente wan sie sich vßbreiden so synt sye nichts wert. Disse blomen sal man beyssen mit essig vnd saltz vnd sye hyn legen, die synt zwer iare gut." All das findet man im lateinischen ‚Circa instans‘, während der ‚Ältere deutsche Macer‘ oder auch Konrad von Megenberg weder die Calendula behandeln noch etwas von Kapern wissen.

Das Kapitel 98 ist bis auf den letzten Absatz dem ‚Circa instans‘ entnommen; dieser letzte kurze Abschnitt nennt nun Avicenna als Quelle. Das zweite Buch des ‚Canon medicinae‘, das den Simplicia gewidmet ist, besitzt indessen kein Kapitel zur Calendula, und im dortigen Kapitel 142 (De cappare) finden sich die sehr allgemeinen Anweisungen Wonneckes zu „faulen Blattern" sowie zu einem Klistier bei lahmen Gliedern jedenfalls nicht. Aber Wonnecke bringt eben die „Rinden-Rezepte" die dann bei Bock, Lonitzer oder Tabernaemontanus wieder auftauchen.

Dass der ‚Gart der Gesundheit‘ wirklich die Calendula meint und nicht den Kapernstrauch, wird durch den beigegebenen Holzschnitt ohne jeden Zweifel deutlich. Zu den Abbildungen im ‚Gart‘ gibt es auch eine Legende, die sich u.a. auch bei Rudolf Schmitz findet. Demnach sei der Mainzer Domdekan Bernhard von Breidenbach, der das Unternehmen Peter Schöffers mitanregte und unterstützte, mit dem Zeichner und Drucker Erhard Reuwich in das Heilige Land gefahren, um die Abbildungen der Kleinasiatischen Pflanzen für den Buchdruck zu liefern. Sie kehrten jedoch nicht rechtzeitig zurück, so dass sich Schöffer anderweitig behelfen musste. Ganz falsch ist das nicht, aber der eigentliche Grund, warum von Breidenbach und Reuwich den jungen Grafen von Solms nach Palästina begleiteten, war der Plan, ein großes Werk zur Pilgerreise nach Jerusalem herauszubringen, was tatsächlich auch im Jahr 1486 in Mainz bei Reuwich geschah und mit 12 Auflagen zwischen 1486 und 1522 ein Riesenerfolg wurde.17

Nicht täuschen ließen sich Leonhart Fuchs und Rembert Dodoens. Aber die großen Eklektiker und Kompilatoren wie Lonitzer und Tabernaemontanus bieten nun kurzerhand alles, was sie bei ihren Vorgängern finden konnten; und so mischen sich bis weit hinein in das 18. Jh. die Rezepte von Calendula und Capparis, etwa im Universallexikon von Zedler. Eines bleibt jedoch bei sämtlichen Autoren fest, auch bei Fuchs und Dodoens: die Ringelblume ist nicht mehr kalt und feucht, wie in der mittelalterlichen Literatur, sondern warm und trocken, jeweils im 2. Grad. Damit wird ein methodisches Problem der pharmazeutisch-botanischen Wissenschaftsgeschichte deutlich: Allein die Tatsache, dass in einem Buch des Mittelalters oder der frühen Neuzeit eine bestimmte Pflanze ganz unverkennbar abgebildet wird, gibt leider keine Garantie dafür, dass der dabeistehende Text zu dieser Abbildung passt. Erst eine möglichst lückenlose Kenntnis der Bild- und Texttraditionen stellt eine einigermaßen sichere Basis zur Identifizierung der wirklich gemeinten Pflanze dar.


Name und Etymologie

Die lateinischen sowie auch die deutschen Namen weisen zum einen auf die gekrümmten Früchte (Karyopsen) hin, wie etwa auch „Caput monachi", weil die Blumenköpfe nach der Fruchtreife von oben betrachtet an einen Mönchskopf mit Tonsur erinnern. Zum anderen benennen sie die ihr zugeschriebene Fähigkeit, dem Lauf des Sonnengestirns innerhalb eines Tages zu folgen: Solsequium, woraus „Sonnenwende" und französisch „Souci" gebildet wurde, oder ihre einem Sonnenrad vergleichbaren Blüten: Sponsa solis, dt. Sonnenfriedel, Sonnenbraut.

Der deutsche Name „Ringelblume" ist wahrscheinlich auf die teilweise geringelten Früchte der Pflanze zurückzuführen.18 In den Blütenkörbchen entwickeln sich bei der Reife verschiedene Fruchtformen (Heterokarie); vor allem die inneren sind einer zusammengerollten Raupe ähnlich.

Unklar ist jedoch Herkunft und genaue Bedeutung des wissenschaftlichen Gattungsnamens Calendula, der in den wenigen uns überlieferten Texten der Antike nicht zu finden ist, während das Mittelalter spätestens ab dem 13. Jh. den Namen für unsere Pflanze recht konstant beibehält.

Zu dieser Frage zitieren wir Auszüge aus dem Standardwerk zur Etymologie der Pflanzennamen von H. Genaust19: Die Herleitung des Namens als Verkleinerungsform von lateinisch Kalendae, der Monatserste, befriedigt nicht. So findet sich bei (Albertus Magnus) der Hinweis, dass sich die Blüte am Morgen öffnet, dem Tag über dem Lauf der Sonne folgt und sich zur Nacht wieder schließt. Dem Bauern soll sie als Barometer dienen. Ist sie am Morgen geschlossen, ist Regen zu erwarten. Diese vermeintlichen photonastischen Bewegungen der Ringelblume reichen jedoch für eine meteorologische oder kalendarische Prognose einfach nicht aus. Vermutlich handelt es sich bei der Namensgebung um eine für das Mittelalter typische Umgestaltung [vgl. unsere Ausführungen zu Vitex agnus-castus L.20] eines bisher unbekannten älteren Pflanzennamens. Aufgrund der diversen Hinweise bei Genaust19 ergeben sich für die Deutung mehrere semantische Ansatzpunkte:

  • Nach Art der gelben Kronblätter: Im Lateinischen ist calt(h)ula ein Frauenkleid von gelber Farbe (in diese Richtung dachte möglicherweise Lonitzer bzw. sein Überarbeiter Petrus Uffenbach, als er bei den Namen zu Calendula die seltsame Angabe „Caltha, C l-/hula" drucken ließ). Hier besteht möglicherweise ein Zusammenhang mit dem indogermanischen ghldha = gelb, das auch im deutschen „Gold" zu erkennen ist.
  • Nach der Verwendung der Blüten zum Schmücken von Kränzen und Körben (lateinisch calathus, griechisch kalathos = geflochtener Korb oder
  • Nach der Körbchenform der Blütenköpfe selbst.


Brauchtum

Calendula war - nicht zuletzt wegen ihres an die güldene Sonne erinnernden Blütenstandes - in der christlichen Zeit sowohl eine Marien- als auch eine Christuspflanze. So ist es die Ringelblume, die goltblume des 13. Jahrhunderts [Vgl. Fischers Synonymenschlüssel, S. 263]21, mit der in einem niederländischen Gedicht des 14. Jahrhunderts, Maria, die Gottesmutter, verglichen wird22:

God gruet di, sonder dorperie
Goltbloem, alder werlt troest,
dat bistu edele maghet vrie.

Vor allem für das Rheinland sind auch Namen bezeugt wie „Jesus-", „Christus-" oder „Herrgottsauge" sowie „Jesus-" und „Christusblume"18, S. 719. In der ersten Hälfte des 20. Jh. war die Ringelblume nicht nur in den Bauerngärten anzutreffen, sondern auf Grund ihrer langen Blütezeit auch eine beliebte Grabpflanze (Hegi, VI/2; 802). Deshalb trug sie auch den Namen Totenblume, der eigentlich gar nicht zu der sonnengleichen Blüte passen will.


Calendula-Blüten in der Kunst

Kaum eines der klassischen Kräuterbücher der Neuzeit verzichtet auf die Darstellung der Ringelblume (eine späte Auflage des ‚Tabernaemontanus‘ bringt es auf neun Abbildungen). Die ersten Darstellungen sind im 14. Jahrhundert fassbar, im ausgehenden 15. Jahrhundert finden sich naturnahe Zeichnungen; die Werke von Bock, Brunfels, Fuchs und Dodoens haben entsprechende Holzschnitte. Und natürlich wird Calendula, insbesondere auch in monströsen Formen, im Hortus Eystettensis (Ausgabe von 1613) dargestellt.

Mit ihren einfachen und gefüllten, orangeroten und gelben Blüten gehört Calendula auch zu den Arten, derer sich viele niederländische Maler bei der Komposition ihrer berühmten Blumensträuße bedienten: u.a. Gildis van Coninxloo d.J. (1581-1619/20), Ambrosius Boschaert d.Ä. (1573-1621), Jacob Marrell (1613/14-1681) , Jan Breughel d.J. (1601-1678), Jan van Huysum (1682-1749 oder Georgius van Os d.Ä. (1782-1861).


Literatur

  1. Schönfelder I, und Schönfelder P: Die Kosmos-Mittelmeerflora. Franckh‘sche Verlagshandlung, Stuttgart 1984; 236.
  2. Berendes J: Des Pedanios Dioskurides aus Anazarbos Arzneimittellehre in fünf Büchern. Ferdinand Enke, Stuttgart 1902; 372.
  3. Portmann M-L: Hildegard von Bingen. Heilkraft der Natur ‘Physica’. Das Buch von dem inneren Wesen der verschiedenen Naturen der Geschöpfe. Erste vollständige, wortgetreue und textkritische Übersetzung, bei der alle Handschriften berücksichtigt sind. Pattloch Verlag, Augsburg 1991; 139-140.
  4. Müller I: Die pflanzlichen Heilmittel bei Hildegard von Bingen. Otto Müller, Salzburg 1982, Nr. 84; Taschenbuch: Herder Freiburg i. Br. 1993
  5. Fassung B: ed. Wölfel H. (Hg.), Das Arzneidrogenbuch Circa instans in einer Fassung des XIII. Jahrhunderts aus der Universitätsbibliothek Erlangen, Diss. math.nat. Berlin 1945; Übertragung ins Neuhochdeutsche: Woidt M.: Das Salerner Buch des Bedarfs an einfachen Drogen nach Handschriften in unsere heutige Muttersprache übertragen und erläutert, Diss. math.nat. Berlin 1942.
  6. Holler F-H: Das Arzneidrogenbuch in der Salernitanischen Handschrift des Breslauer Stadtbibliothek (Nr. 1302). Konrad Triltsch Verlag, Würzburg 1941; 87.
  7. Faksimile-Ausgabe: De simplici medicina. Kräuterbuch-Handschrift aus dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts im Besitz der Basler Universitäts-Bibliothek, mit einem Begleitwort von Arnold Pfister, Basel 1961, Calendula Bl. 9vb; vgl. auch: Jörg Blome, Transcription. Übersetzung und systematisch-botanische Bearbeitung der in der Basler Universitätsbibliothek aufbewahrten Kräuterbuch-Handschrift "Circa instans" aus dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts, Diss. phil.-nat. [masch.] Basel 1978; Calendula S. 87f. Zu Datierung und Herkunft vgl. Palmer N F und Speckenbach K: Träume und Kräuter. Studien zur Petroneller ‚Circa instans‘-Handschrift und zu den deutschen Traumbüchern des Mittelalters (pictura&poesis, 4), Böhlau Verlag Köln und Wien, 1990; 21-35; siehe auch: Keil G: Art. ‚Circa instans‘, Lexikon des Mittelalters, Bd. 2, 1983; Sp. 2096.
  8. Text nach Biewer K: Albertus Magnus, De vegetabilibus Buch VI, Traktat 2, lateinisch-deutsch. Übersetzung und Kommentar (Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie, Bd. 62), Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 1992; 129 (die Übersetzung wurde nicht genau übernommen).
  9. Maus R: Das Lexicon plantarum (Handschrift 604 der Münchener Universitätsbibliothek. Ein Vorläufer der deutschen Kräuterbuch-Inkunabeln, Teil I. (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der Naturwissenschaften, 2), Konrad Triltsch Verlag Würzburg 1941; V-X
  10. Mayer J G: Der Codex Guarini Brixiensis. Ein Thesaurus spätantik-mittelalterlicher Pharmakologie, in: Tenschert H. (Herausg.): Botanik und Zoologie. Illustrierte Bücher und farbige Tafelwerke von 1485 bis 1885. Antiquariat Heribert Tenschert, Rotthalmünster und Ramsen/Schweiz 1995/96; 22-36.
  11. Opsomer C: Livre des simples medecines. Codes Bruxellensis IV 1024, Faksimile- und Kommentarband. de Schutter Antwerpen 1980; Abbildung: Faksimile 65recto.
  12. Malandin G, Lieutaghi P und Avril F: Platéarius, le livre des simples médecines, d'après le manuscrit francais 12322 de la Bibliothèque nationale de Paris, Paris 1990 Abb. Calendula S. 35; Datierung S. 269.
  13. Mayer J.G., Czygan F.-C.: Arnica montana L., Ein kulturhistorischer Essay - und über die Schwierigkeiten, einen solchen zu verfassen, Z.f.Phytother., 2000; 30-36.
  14. Es war übrigens nicht der allererste Druck eines Kräuterbuches: dieser erfolgte 1474 zu Nürnberg, als Anton Koberger einem medizinischen Druck, der hauptsächlich ein Gesundheitsregimen enthielt, das kleine Kräuterbuch aus dem ‚Buch der Natur‘ von Konrad von Megenberg anhängte.
  15. Schmitz R: Geschichte der Pharmazie, Bd. I: Von den Anfängen bis zum Ausgang des Mittealters. Govi-Verlag, Eschborn 1998; 389.
  16. Zusammen decken der ‚Ältere deutsche Macer‘ und Konrad von Megenberg nicht viel mehr als 150 Pflanzen ab, wobei die Texte oft sehr kurz gehalten sind, während der ‚Gart der Gesundheit‘ über 300 Kapitel besitzt. Im ‚Bartholomäus‘, einem deutschen Arzneibuch aus der Zeit um 1200, das aus einem Harn-Traktat, einer Rezeptsammlung sowie zwei Kurztraktaten zu Juniperus und zum Geier besteht, hätte Wonnecke nur sehr mühsam passendes Material finden können, sieht man einmal vom Wacholder ab. In der Tat hat Wonnecke allerdings den ‚Älteren deutschen Macer‘ benutzt, was Gundolf Keil 1982 herausgearbeitet hat. Auch die Benutzung des weitverbreiteten und zu dieser Zeit bereits gedruckten ‚Buchs der Natur‘ liegt fast schon nahe, wobei Parallelen mit Konrad von Megenberg auch dadurch zustande kommen, dass der Megenberger sein pharmazeutisch-botanisches Wissen aus dem ‚Liber de natura rerum‘ des dominikanischen Enzyklopädisten Thomas Cantimpratensis bezogen hat, dessen Hauptquelle wiederum das ‚Circa instans‘ war, und Konrad zusätzlich - wie nachgewiesen werden kann - selbst über Thomas hinaus dieses mittelalterliche Standard-Werk benutzt hat, während das ‚Circa instans‘ nach Keils Einschätzung wiederum die Hauptquelle für Wonnecke gewesen ist.Vgl. Keil G: ‚Gart‘, ‚Herbarius‘, ‚Hortus‘. Anmerkungen zu den ältesten Kräuterbuch-Inkunalbeln. In: ‚Gelerter der arzenie, ouch apoteker‘, Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte, Festschr. zum 70. Geburtstag von Willem F. Dams, herausg. von G Keil (Würzburger medizinhistorische Forschungen, 24). Horst Wellm Verlag Pattensen/Hannover [jetzt Königshausen&Neumann Würzburg] 1982; 589-635.
  17. Vgl. Huschenbett D: Bernhard von Breitenbach, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 1, Berlin New York 1978, Sp. 752-754.
  18. Marzell H: Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen, Bd. 1, Leipzig 1943; 716.
  19. Genaust H: Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen, Birkhäuser Verlag Basel, Boston, Berlin, 3. Aufl. 1996; 116.
  20. Mayer J G, Czygan F-Ch: Vitex agnus-castus L., der oder das Keuschlamm. Ein kulturhistorischer Essay. Z.f.Phytotherap. 20 (1999); 177-182.
  21. Fischer H. Mittelalterliche Pflanzenkunde, München 1929, Neudruck Olms, Hildesheim 1967, Synonymenschlüssel S. 263
  22. Behling L: Die Pflanzen in der mittelalterlichen Tafelmalerei. Böhlau Verlag, Köln/Graz 1957; 28.


Texte

Otto Brunfels (1532), Nr. ccxj (211)
Ringelblumen seind gantz saffran gelb / mit sampt dem rädlin vnd sternlin.
Jr blatt falb / weich / horecht / in die lenge gerundiert / werden von den Barbaris genennet Calendula / vnnd von etlichen anderen auch Caput Monachi / gleich wie die blum Buphthalmos / dauon oben gehört. Jst aber ein sonder geschlecht / vnd würt gezyelet in den gärten / allein für ein zyerde / vnnd zou den kräntzen. Wie sye weiter genennt werden bey den Kryechen vnd den alten latinischen / ist mir yetzund in der eyle nicht zu wissen / will aber daruon mich zuerkünden / kein fleiß vnderlassen.

Was Ringelblumen für kräft haben.
Hieronymus [Brunschwig] ein wolerfarener kreütler, der spricht, das das wasser von dißen bl?men sey gut zu allen gebresten der augen, es sey von hitz, oder von kelte / vnd mache dye klar. Benem auch alle weethumb des haubts.
Es haben auch die anderen Herbaria etwas daruon / das findet man bey den selbigen zu leßen.
Wer blut harnet / der neme Ringelblumen / syede die / vnd trinck darab / verstellet den flussz.
Ein sonderlich Experiment / nach der geburt das bütdlin der frawen zu treiben.
So dörr diße blumen vnd bletter / behalts / vnd nach der entledigung wo das bürdlin nit folgen will/ zünd solich gedört kraut vnnd blumen mit eim wachßlyechtlin an / vnd lassz den dampff vnden hynuff zu ir / ist bewärt.

Adam Lonitzer in der Ausgabe von 1679, Kap. 67 (S. 222f.)
Ringelblumen / Caltha
Ringlblumen von dem ringlichten Saamen also genannt / auf Lateinisch Caltha, Cl-hula(??), Vulgò Calendula, Solis Sponsa. Gall. du souzilz. Hisp. Marauilha.
Ringelblum ist auf zwey Spannen hoch / ein gestirnte Blum / gantz Goltgeel / wie ein Johannisblum / eines starcken guten Geruchs / hat ein schlechte weisse Wurtzel / trägt nach der Blüht einen runden Münchskopff / das ist der Saam / so mans von einander thut / ist ein jeder Saame wie ein Vogelskläulin gebogen / innwendig weiß und süß / blühet biß in den Winter. Seynd warm und trocken. Mehr außwendig / dann in Leib zu gebrauchen.
Wächst zwar auch etwan an den Strassen von sich selbst; wird aber mehrertheils in den Gärten gepflantzt / und bekommt in denselbigen doppelte Blumen.

Kraft und Wirkung
Das Pulver von Blumen in Baumwoll gewickelt / und auf die Zähn gelegt / stillet derselbigen wütenden Schmertzen.
Ringelblumen mit dem Kraut gedört / angezündt und den Rauch untenauf empfangen / befürdert gewißlich die Bürden mit Gewalt.
Diese Blumen verzehren die Feuchtigkeiten in dem Magen / und wärmen den erkalten Magen.
Die Rinde durchdringet und verzehret alle böse Feuchtigkeiten.
Die Rinde in Wein gesotten / den getruncken / ist gut den Lebersüchtigen.
Das Pulver von der Rinden mit Fenchelsaamensafft / Wein / und ein wenig Oel vermischt / das gesotten Biss es dick wird / und mit ein wenig Wachs zu einer Salben gemacht / ist gut außwendig ans Miltz gestrichen / und auf den kalten Magen.
Den Saffe von Blättern in die Ohren gethan / tödtet die Würm.
Die Rinde gepülvert / und auf die böse Blattern gelegt / heilt dieselbige von Grund auß.
Ein Clystier von dem Saff deß Krauts und Wurtzeln gemacht /ist gut den lahmen Gliedern.
Ringelblumenwasser / Abends und Morgens in die Augen getropfft / vertreibt die Hitz und röthe der Augen. Oder leinen Tüchlein darinnen genetzt / und über die Augen gelegt.