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Arzneipflanze des Jahres

Auf dieser Seite finden Sie Informationen zur Arzneipflanze des Jahres, die vom "Studienkreis  Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde" am Institut für Geschichte der Medizin an der Universität Würzburg jährlich gewählt wird.

Texte zu allen bisherigen Arzneipflanzen des Jahres finden sich auf unserer Homepage Welterbe Klostermedizin.

 

Blutwurz ist die Arzneipflanze des Jahres 2024

Die Blutwurz, auch als Tormentill bekannt, ist eine an Gerbstoffen reiche Arzneipflanze, die heute traditionell vor allem bei leichten Durchfallerkrankungen sowie in Mundwässern eingesetzt wird. Gerbstoffe verschiedener Pflanzen werden beim Gerben von Leder benutzt, um Eiweiße auszufällen und zu stabilisieren. Bei gereizter, entzündeter und nässender Schleimhaut bzw. Haut bildet sich mit Gerbstoffen eine Schutzschicht. Gerbstoffe sind derzeit wegen ihrer antimikrobiellen und antiviralen Eigenschaften im Fokus der Grundlagen-Forschung.

Aufgrund ihrer reichhaltigen Nutzung in der Geschichte bis heute und ihrem Potential für weitere Forschung wählt der interdisziplinäre Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde die Blutwurz zur Arzneipflanze des Jahres 2024.



Botanik

Die Blutwurz (Potentilla erecta) ist eine ausdauernde, krautige Pflanze aus der Famile der Rosengewächse (Rosaceae) mit einer typischen Wuchshöhe von 10 bis 30 Zentimetern. Sie findet sich auf Wiesen, Heiden und in Wäldern mit mäßig saurem Boden.

Charakteristisch ist der kräftige, knollige Wurzelstock (botanisch Rhizom), der mehrere Zentimter Durchmesser erreichen kann. Namensgebend ist die schnelle Rotfärbung, die sich an Bruch- und Schnittstellen des Wurzelstockes durch Oxidation der enthaltenen Gerbstoffe bildet. Aus dem Wurzelstock führen die eigentlichen Wurzeln bis zu 50 Zentimeter in den Boden.

Die Grundblätter sind dreizählig, sie besitzen an den Stängeln jedoch zwei Nebenblätter, was eine fünfzählige Erscheinung vermittelt. In der Blütezeit von Mai bis Oktober entspringen auf langen Stilen einzeln in den Blattachseln die gelben Blüten mit zumeist vier Kronblättern. Dies unterscheidet die Blutwurz von anderen Vetretern der Gattung Potentilla mit charakteristisch fünf Kronblättern.


Geschichte

Die medizinische Verwendung der Fingerkräuter (Potentilla) in Europa reicht bis ins Altertum zurück. Weite Verwendung in der griechisch-römischen Antike fand das im Mittelmeerraum heimische Kriechende Fingerkraut (Potentilla reptans), früher häufig Fünffingerkraut genannt. Dieses wurde ab dem Mittelalter parallel zur Blutwurz genannt und verschwand erst in der Neuzeit langsam aus dem Arzneischatz. Die Anwendungsgebiete der beiden Pflanzen überschnitten sich.

Ebenfalls seit dem Mittelalter wird das Gänsefingerkraut (Argentina anserina, früher Potentilla anserina) erwähnt, das nach langen Diskussionen nun seit einigen Jahren einer anderen Gattung zugeordnet wird. Im Gegensatz zu den beiden vorgenannten Pflanzen wird vom Gänsefingerkraut vorrangig das Kraut kurz vor und während der Blüte verwendet und nicht der Wurzelstock. Trotz ähnlicher Inhaltsstoffe haben sich für das Gänsefingerkraut etwas unterschiedliche Anwendungen herausgebildet.

Bereits Hildegard von Bingen nennt Mitte des 12. Jahrhunderts in ihrer Naturkunde alle drei Pflanzen. Blutwurz ('dornella') und Kriechendes Fingerkraut (bei ihr 'funfblat') empfiehlt sie als Mittel bei Fieber, das Kriechende Fingerkraut zudem bei Augenleiden und Gelbsucht. Das Gänsefingerkraut ('grensinc') hat nach Hildegard keinen Nutzen, schadet aber auch nicht.



Die großen gedruckten Kräuterbücher des 15. bis 18. Jahrhunderts nennen ebenfalls alle drei Pflanzen. Hieronymus Bock empfiehlt in seinem Kräuterbuch von 1551 die Blutwurz innerlich bei Vergiftungen und Pestilenz (was damals alle ansteckenden Krankheiten umfasste), für Lunge und Leber (Gelbsucht), bei Schweißsucht und Fieber, bei Durchfallerkrankungen und Erbrechen. Äußerlich nennt er Wunden, Nasenbluten, Menstruationsbeschwerden, Augenleiden und Feigwarzen. Insbesondere die äußerlichen Anwendungen gleichen hier weitgehend dem Kriechenden Fingerkraut seit der Antike. Dieses findet sich bei Bock direkt danach, das Kapitel ist unter Verweis auf die Blutwurz entsprechend kompakt gehalten.


Moderne

Im frühen 20. Jahrhundert hatte sich für die Blutwurz vor allem die Verwendung bei allen Formen von Durchfall erhalten, Gerhard Madaus nennt 1938 in seinem Lehrbuch auch Darmblutungen, Brechdurchfall, Magenschwäche und Appetitlosigkeit. Äußerlich führt er Entzündungen im Bereich der Mund- und Rachenhöhle sowie Wunden, nässende Ekzeme, Quetschungen und Blutergüsse an.

In der heutigen, naturwissenschaftlich fundierten Pflanzenheilkunde (Phytotherapie) sind Zubereitungen aus dem Wurzelstock der Blutwurz innerlich bei unspezifischen, akuten Durchfallerkrankungen und unterstützend bei akuter und chronischer Darmentzündung sowie äußerlich bei leichten Entzündungen im Mund- und Rachenraum anerkannt (ESCOP 2013, HMPC der EMA 2019) – mit der Einschränkung als „traditionelles pflanzliches Arzneimittel“.



Die Blutwurz enthält als wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoffe 15 bis 22 Prozent Gerbstoffe, ferner Flavonoide wie Kämperol, Phenolcarbonsäuren wie Kaffee- und Gallussäure sowie Triterpensäuren. Die Gerbstoffe sind bei entsprechenden Mundwässern deutlich zu schmecken und zu spüren.

Leider sind die Jahrhunderte alten Erfahrungen in Gefahr, verloren zu gehen, da seit Jahrzehnten keinerlei neue klinische Studien, das heißt Studien an entsprechend erkrankten Menschen, durchgeführt werden. Immerhin gibt es gute Hinweise aus experimentellen Arbeiten, dass die die Blutwurz mit ihren Gerbstoffen zur Hemmung von Viren und Bakterien beitragen könnte, so unter anderem von Bakterien der Gattung Campylobacter, die die gesunde Verdauung im Darm beeinträchtigen.

Angesichts der Häufigkeit von chronischen Verdauungsstörungen von bis zu 30 Prozent der mitteleuropäischen Bevölkerung sollte dies eigentlich Anlass genug sein, entsprechende Entwicklungen zu fördern. Arzneipflanzen bleiben jedoch wegen ihrer allgemeinen Verfügbarkeit und der sehr eingeschränkten Möglichkeit zur Patentierung leider in Europa weiterhin Stiefkinder der Forschung.

 

 

Forschergruppe Klostermedizin

 

 

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